Kreiswehrführer Mark Rücker spricht über psychische Belastungen von Feuerwehrleuten nach schweren Unfällen oder Bränden.
Foto: Iwersen
Schleswig | Im Eingangsbereich der Kreisfeuerwehrzentrale in Schleswig hängt ein Bild, das im Einsatz entstanden ist: Feuerwehrleute arbeiten an einem völlig zerstörten Autowrack. Offenbar sind sie dabei, eingeklemmte Menschen aus ihrer schrecklichen Lage zu befreien. Das Bild zeigt diese möglicherweise schwer verletzten oder sterbenden Menschen nicht. Aber die Feuerwehrleute sehen sie – und das hinterlässt Bilder im Kopf, die sich nicht so leicht verscheuchen lassen. Kreiswehrführer Mark Rücker (41) schätzt, dass 20 bis 30 Prozent der Einsatzkräfte unter psychischen Belastungen leiden. Im Interview mit unserer Zeitung spricht Rücker, der für rund 6500 Aktive in 198 Wehren zuständig ist, über schlimme Einsätze, die Scheu, Schwächen einzugestehen, ein neues Konzept der Wehren und eigene Erfahrungen.
Herr Rücker, die Freiwilligen Feuerwehren geben in der Öffentlichkeit ein Bild der Stärke ab. Sie sind bei Bränden, Überschwemmungen, Stürmen und Unfällen immer zur Stelle. Aber es gibt offenbar auch viele Situationen, die Spuren in der Psyche der Retter hinterlassen. Welche Einsätze sind das?
Das sind vor allem schwere Verkehrsunfälle. Man muss sich das so vorstellen: Die Einsatzkräfte werden aus dem Arbeitsalltag herausgezogen, kommen zu einem Unfallort und werden mit einem Bild des Grauens konfrontiert. Wie beispielsweise kürzlich bei einem tödlichen Unfall bei Streichmühle auf der B 199. Da bekommen die Kameraden Bilder zu sehen, die sie so schnell nicht wieder loswerden. Vor allem wenn Kinder beteiligt sind.
Die einzelnen Wehren sind häufig noch vor Polizei und Rettungswagen am Ort des Geschehens. Was erwartet sie dort?
Wenn wir eintreffen, nehmen wir, wenn möglich, sofort die Patientenbetreuung auf. Dafür sind wir auch alle ausgebildet. Aber das bedeutet auch, dass wir hautnah dran sind an den Unfallopfern.
Was machen solche Erlebnissen mit den Einsatzkräften?
Sie hinterlassen häufig Spuren in den Köpfen, Bilder die immer wieder auftauchen und durchaus belastend für den Einzelnen sind. In Einzelfällen kann das zu schweren psychischen Problemen führen.
Gehen Feuerwehrleute, die Probleme mit der Verarbeitung der Erlebnisse haben, offen auf ihre Wehrführer zu oder halten sie sich zurück. Die Feuerwehren vermitteln ja häufig das Bild einer starken Truppe, die nichts erschüttern kann.
Viele ziehen sich zurück, sagen: Das wird schon wieder, das kriege ich alleine hin. Aber das funktioniert meistens nicht. Es brennt sich in die Psyche ein, staut sich auf und lässt einen nicht mehr los. Und irgendwann kommt es dann zum Zusammenbruch.
Woran liegt es, dass sich die meisten Betroffenen zurückziehen?
Es ist eben nicht einfach, sich zu öffnen und eine Schwäche zuzugeben. Dabei hat das Ganze nichts mit Schwäche zu tun. Es handelt sich um Vorgänge, die einfach passieren. Auffällig ist, dass viele der jüngeren Leute eher bereit sind, sich zu diesem Thema zu bekennen. Das ist eine andere Generation als älteren erfahrenen Kameraden, die ihre Probleme im Zweifel eher mit sich selbst ausmachen. Das gilt übrigens auch für Zweifel und Schuldgefühle, die im Nachhinein auftreten können: Habe ich alles richtig gemacht? Was wäre gewesen, wenn ich den Schnitt an einer anderen Stelle angesetzt hätte? Hätte das Opfer überleben können? Auch so etwas gibt es.
Was tut die Feuerwehr dafür, um ihren Kameraden in solchen Fällen zu helfen?
Es gibt seit einiger Zeit einen Leitfaden vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, der Hinweise für die „psychosoziale Notfallversorgung“ gibt. Seit dem vergangenen Jahr haben wir im Kreis Schleswig-Flensburg außerdem eine Fachgruppe mit sechs ausgebildeten Freiwilligen, die mögliche psychische Belastungen der Kameraden im Blick haben. Sie werden bei besonderen Einsätzen vom jeweiligen Wehrführer angefordert und dann von der Rettungsleitstelle alarmiert.
Worin genau besteht ihre Aufgabe?
Sie kommen aus den eigenen Reihen und sind bei den Einsätzen dabei. Sie beobachten genau, was vor sich geht, suchen das Gespräch mit den Einsatzkräften, wenn ihnen etwas auffällt. Sie sind auch bei den Nachbesprechungen dabei. Da lässt sich ein wenig einfacher feststellen, wer an dem gerade Erlebten zu knabbern hat. Im Einsatz selbst sind wir alle so voller Adrenalin, dass wir voll auf die Aufgabe konzentriert sind. Die bösen Bilder kommen erst später, vielleicht erst zu Hause, wenn die Spannung nachgelassen hat. Oder erst nach Wochen oder Monaten.
Hinzu kommt mit der Dokumentation noch eine formale Aufgabe: Was für eine Art Einsatz ist es, wer nimmt teil, welche möglichen Belastungen ergeben sich? Das ist wichtig für die Versicherung. Wenn eine der Einsatzkräfte später einmal die Hilfe eines echten Psychologen braucht, ist das für die Versicherung ein wichtiger Beleg. Aber in dieser Hinsicht hat es noch nie Probleme gegeben.
Diese speziellen Einsatzkräfte sind zwar geschult, aber keine Psychologen. Das heißt: Sie haben mit der Therapie nichts zu tun.
Das stimmt. Sie sind die erste Anlaufstelle, können Gespräche führen. Auch das hilft schon weiter. Wenn gravierendere Probleme auftreten, sind Fachleute gefragt. Unsere eigenen Leute sind eine Zwischenstufe, können auch als Vermittler auftreten. Sie fahren zu Versammlungen, machen sich bekannt und weisen auf die Möglichkeiten hin, die den Kameraden zur Verfügung stehen. Und sie werben dafür, sich zu öffnen, wenn es Probleme gibt. Der Bedarf ist zweifellos vorhanden. Sie können vielleicht keine psychischen Probleme lösen – aber sie können sie erkennen. Manchmal reicht so ein erstes Gespräch auch shon aus, damit sich jemand besser fühlt.
Das war aber auch schon vor der Einführung der Fachgruppe der Fall.
Ja, natürlich. Der Wehrführer hatte, wie auch heute, seine Leute im Blick. Oder es kamen Hinweise aus den eigenen Reihen, dass es jemandem nicht gut geht.
Wie geht die Feuerwehr mit jungen Aktiven um, die noch keine Erfahrungen mit heiklen Einsätzen haben?
Wie sie reagieren, sieht man erst im Einsatz. Der Gruppenführer oder Einsatzleiter hat genügend Fingerspitzengefühl, um die jungen Leute bei einem Unfall nicht gleich nach vorn zu stellen und mit Schere oder Spreizer arbeiten zu lassen. Sie werden langsam an solche Situationen herangeführt.
Haben Sie persönlich schon psychisch belastende Einsätze erlebt?
Ja. Ich erinnere mich an einen schweren Verkehrsunfall. Es war ein Suizid. Mit Mutter und Kind im Fahrzeug. Da war ich hauptberuflich im Rettungsdienst im Einsatz. Das hatte den Vorteil, dass man den ganzen Tag mit den Kollegen zusammen war und über den Einsatz sprechen konnte. So versucht man, es zu verarbeiten. Das hat damals auch geklappt. Aber ich bin mir sicher: Jeder von uns Feuerwehrleuten hat seine Bilder im Kopf.
Quelle: http://www.shz.de/lokales/schleswiger-nachrichten/unfaelle-braende-tod-jeder-von-uns-hat-seine-bilder-im-kopf-id8696231.html (15.01.15)